Das Radio spielte gerade den alten Song von Led Zeppelin, Whole Lotta Love, als Conrad das Gerät einschaltete und es sich in seinem Fernsehsessel gemütlich machte. Er horchte auf, denn diesen Song hat er seit seiner Jugendzeit nicht mehr gehört. Und es weckte schlagartig Erinnerungen in ihm, die er schon seit damals verdrängt hatte. Er sah sich, während die Lautsprecher seiner Stereoanlage das Lied dröhnten, wie er als junger Spund die Straße entlang stolzierte, um zu seinem roten Kadett zu gehen. Die lässige Art und Weise, die er draufhatte, zeigte jedem, er war der King, derjenige, der die Welt verbessern, ja verändern wollte. Und was war er für ein Draufgänger damals gewesen. Er hatte immer Erfolg bei den Frauen, er war überall der Mittelpunkt. Was immer er sagte, wurde gemacht. Ja er war schon ein irrer Typ. Er sah im Geiste die Klamotten, die er zu jener Zeit getragen hatte, den weiten Schlag der Hosen, die kurze Jeansjacke, das schwarze Hemd und den Seidenschal um seinen Hals. Ja fesch ausgesehen hatte er damals. Nicht so abgewrackt wie die anderen, mit ihren Löchern in den Jeans, heraushängenden Hemden und das allgemeine Aussehen eher schmuddelig, als gepflegt. Nein, er hatte damals mehr wert auf sein Äußeres gelegt,
als die anderen. Doch was hatte es ihm gebracht? Beliebter in der weiblichen Welt war er deswegen nicht.
In diesem Moment verstummte das Radio. Der Song war zu Ende und riss Conrad wieder in die Wirklichkeit zurück. Draufgänger? Ein Scheiß war er. Seinen Mund hatte er sich nie getraut aufzumachen. Aus purer Angst, sein Vater könnte ihm eine reinhauen. Bei den Mädchen hatte er nie Erfolg gehabt. Den hatten immer andere eingeheimst. Er war der ruhige, der zurückhaltende. Er wurde nie geliebt. Im Gegenteil, man nutzte ihn nur aus. Das einzige was damals wirklich so war, war sein alter roter Kadett. Er war sein Freund, auf den er sich immer verlassen konnte, bis zu jenem Tage, als der TÜV entschieden hatte, er müsse sich von ihm trennen. Und da er damals kein Geld hatte, um ihn wieder herzurichten, war er gezwungen diesen Wagen auf den Schrott zu bringen. Es brach ihm damals fast das Herz. Doch er hatte keine Wahl.
Und Heute, wie gerne würde er wieder an diese Zeit anknüpfen. Wie gerne wäre er wieder jener Junge, stürmische Kerl, nur diesmal anders. So wie
er gerne gewesen wäre.
Schlagartig fiel ihm wieder ein, die Klamotten von damals lagen immer noch oben auf dem Boden in einer Schachtel.
Er stürmte aus dem Sessel, wobei dieser nach hinten fiel, um mit einem lauten Krach auf dem Boden zu landen, rannte die Treppe zum Speicher hinauf und in der Tür stehend schaute er sich in dem diffusen Licht der Lampe um. Überall standen Kisten und Koffer, alte ausgediente Möbel, Lampen und derlei andere Dinge wahllos hier herum.
Und da sah er sie. Im hintersten Winkel des Raumes stand eine Kiste mit der Aufschrift: Dato. Und er war sich sicher, hier waren die Dinge drin, die er damals mit seiner Jugend ablegte. Mit zitternden Händen öffnete er vorsichtig den Karton, aus purer Angst, er könnte deren Inhalt beschädigen. All die Erinnerungen, die auch nicht nur in diesem Paket, sondern auch in seinem Gehirn abgelegt waren, wurden mit einem Schlag wieder geweckt.
Conrad zog ein Kleidungsstück hervor,
kohlrabenschwarz, wie die Nacht. Sein tailliertes Hemd. Mit zwei aufgenähten Taschen, ansonsten sehr schlicht. Aber dies hatte ihm gerade gefallen. Es war ein besonderes Hemd, gerade, weil es schmucklos ohne Schnörkel und Zierrat war. Schlicht einfach, aber doch solide. Aber so etwas gab es heute nicht mehr. Alle Hemden waren mehr oder weniger gleich geschnitten. Alle hingen einem wie ein Sack am Körper. Nicht aber dieses Hemd. Es war sozusagen auf den Körper zugeschnitten und lag an ihm wie eine zweite Haut. Ja so müsste heute wieder die Mode sein. Dann würde er sich wieder wohl fühlen.
Er kramte tiefer in dem Karton, griff wieder ein Kleidungsstück und hielt seine Hose in der Hand. Eine Zweifarbige Jeanshose, deren Beine und Seiten aus Hellblauem Stoff, Po und Vorderseite, wie der Schritt, dunkelblau gehalten waren. Oben kurz und eng, aber die Füße wurden von einem langen weiten Schlag bedeckt. Über 40 Zentimeter lang war der Schlag. Mann war er damals stolz gewesen, als er sich diese Hose gekauft hatte. Zum ersten Mal hatte er seinem Vater zuwider gehandelt. Er war vollkommen dagegen. Doch bei dieser Hose scherte es Conrad nicht. Er nahm den
Ärger auf sich, wie einen schweren Rucksack, den es zu transportieren galt.
Als nächstes Kleidungsstück beförderte Conrad. seine schwarze Jeansjacke zu Tage, in deren Brusttasche noch immer der Seidenschal steckte. Das gesamte Outfit war vorhanden. Und nicht eine Motte hatte es in all den Jahren gewagt Hand an diese Kleidungsstücke zu legen. Sie waren so gut erhalten, als wenn sie gerade erst Heute gekauft worden wären.
Conrad nahm die Kleidungsstücke in die Arme und drückte sie fest an seinen Körper. Er vergaß die Welt um sich herum.
Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte. Schließlich stand er auf, nahm alle Stücke mit und ging wieder nach unten. Dort im Schlafzimmer angekommen, legte er sie sorgfältig auf das Bett und betrachtete sie von weitem. „Wenn ich doch bloß wieder da herein passen würde“, dachte er laut. Doch ein Blick in den Spiegel verriet ihm, dass er seit jener Zeit drei oder vier Nummern zugenommen hatte. Aber es brannte ihn auf den Fingern, wieder in diese Klamotten zu
schlüpfen. Wieder wollte er das damalige Gefühl in sich spüren, dieses Gefühl der Freiheit, des ungebunden seins.
Langsam rollten Tränen der Trauer seine Wangen herunter. Wie sollte er dieses vergangene Gefühl wieder bekommen?
Er konnte nicht anders. Conrad riss sich die Klamotten vom Leib, nahm das Hemd und stülpte es sich über. Er glaubte seinen Augen nicht zutrauen, doch er musste feststellen, das Hemd passte. Nach all den Jahren, passte es noch immer wie damals. Nichts spannte nichts zwickte. Es passte wie eine zweite Haut.
Nun nahm er die Hose und zu seinem Erstaunen musste er feststellen, auch dieses Kleidungsstück legte sich wie eine zweite Haut um seinen Körper. Er warf die Jacke über, nahm den Schal und eilte zum Spiegel, um ihn sich richtig, so wie damals um den Hals zu binden.
Was er in diesem Moment sah, konnte er selbst nicht glauben. Vor ihm stand der Junge, der ihn schon damals angeschaut hatte. Kein bisschen
älter, kein bisschen dicker. Nein genauso hatte er damals ausgesehen. Eiligst band er sich den Schal, stürmte ins Wohnzimmer und holte das Fotoalbum aus dem Regal. Er wusste wo er hin fassen musste, mit einem Griff hatte er die Seite gefunden, wo er genau in dieser Kluft vor seinem Roten Kadett stand. Wie ein junger Teen lehnte er sich an den Wagen und grinste in die Kamera. Zärtlich strich er über das Foto. Kleine Tränen bildeten sich. Er dachte an den Wagen.
Voller Wut schlug er das Album zu, zog sich Schuhe an und verließ die Wohnung. Er wollte wenigstens das Gefühl der Unabhängigkeit genießen und wenn er nur in dieser Kluft um den Häuserblock laufen würde. Man konnte ja noch in die Stammkneipe an der Ecke gehen, vielleicht würde man da ja etwas Aufsehen erregen.
Kaum war er vor die Tür getreten, stockte sein Herz. Was stand da vor seinem Haus? Er traute seinen Augen nicht. Dort wartete leuchtend rot ein Kadett in LS Ausführung. Genau der gleiche wie damals. Langsam ging er auf den Wagen zu. Schaute ins Innere und sah auf der Rückbank seinen Stoffhund, den er damals hatte. Er war
plötzlich sicher, dieser Wagen war seiner. Er sah ihm nicht nur ähnlich sondern hier stand sein Wagen aus den Siebzigern.
Conrad griff in die Hosentasche und fühlte einen Schlüsselbund, zog diesen hervor, nahm den Wagenschlüssel, der an diesem Bund befestigt war, führte ihn mit zittrigen Händen ins Schloss und stieß einen Jubelschrei aus, als sich der Schlüssel drehen ließ, und so das Fahrzeug öffnete.
Schnell schwang er sich hinter das Lenkrad, zündete den Wagen, warf die Tür zu und ließ die Reifen quietschen. Nun war er ganz in seinem Element. Er hatte seine Jugend wieder. Alles was er verloren glaubte, schien wieder zu ihm zurück zu kehren. Voller Freude und Stolz in seiner Brust, drehte er eine Runde nach der anderen durch die Stadt. So lange, bis der Morgen graute. Dann fuhr er zu seinem Haus, stellte den Wagen davor ab, und als er ausgestiegen war, streichelte er liebevoll über die Motorhaube, ging zwei Schritte aufs Haus zu, drehte sich noch einmal um, begutachtete sein bestes Stück, betrat das Haus, um sich für den heutigen Arbeitstag zurecht zu machen.
In aller Ruhe schälte er sich aus den Klamotten, legte sie auf sein Bett, ging ins Bad, um sich frisch zu machen und nahm die Arbeitskleidung und bekleidete sich. Als er so vor dem Spiegel stand und sich selber betrachtete, bekam er fast einen Schreck. Sein Äußeres war wieder wie zuvor. Er hatte ein faltiges Gesicht, so richtig ausgelebt, seine Stirn zeigte wieder die flache nackte Vorderseite seines Schädels. Diesen Anblick konnte er nicht ertragen, was ihn dazu veranlasste, das Bad so schnell wie nur möglich wieder zu verlassen.
In der Küche nahm er sich eine Tasse Kaffee aus der Maschine, den er zuvor aufgesetzt hatte, schmierte ein Brot, und genoss sein Frühstück im stehen. Gedankenverloren hob er die Kaffeetasse an die Lippen und verbrannte sich daran, was ihn einen leisen Fluch von den Lippen löste. Ein Blick zur Uhr verriet ihm, er durfte sich für sein Frühstück keine Zeit mehr lassen, darum schnappte er seine Aktentasche und den Schlüsselbund und verließ die Wohnung.
Als er auf der Straße angekommen war, freute er sich auf seinen alten Kadett, doch stattdessen
parkte wieder sein BMW vor der Haustür. Langsam und voller Zweifel ging er auf diesen Wagen zu. Hatte er alles nur geträumt? War dies alles in der vergangenen Nacht nicht Wirklichkeit gewesen? Er war sicher gewesen, in seinem Kadett gesessen zu haben und damit die ganze Nacht herumgefahren zu sein. Doch nun bekam er Zweifel.
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