Fassungslos blickte Jolanda in das geöffnete Grab, in dem der Sarg ihres Mannes lag. Auf tragische und doch unerklärliche Weise hatte sie ihn verloren. Selbst die Polizei und Ärzte konnten nicht feststellen, auf welche Art und Weise er ums Leben gekommen war.
Jolanda stand an dem Loch, blickte starr nach unten, in der rechten eine schwarze Rose haltend. Der Pfarrer hatte schon lange seine tröstenden Worte beendet und die Musik hatte aufgehört zu spielen. Doch Jolanda rührte sich nicht. Steif blieb sie stehen.
Ihr Bruder, der weiter hinten stand, kam mit festen Schritten auf sie zu, umfasste sie, riss sie dabei aus ihren Gefühlen heraus. Geradeso, als wenn man einen Schlafenden aus seinem Traum herausriss. So erschrak Jolanda und sie fasste sich an die Stirn, mit der Hand in der sie die Rose hielt, fügte sich dabei einen Kratzer, durch einen Dorn der Pflanze, an der Stirn zu, der gleich darauf zu bluten anfing. Sie drehte sich auf dem Absatz um, starrte in die Trauergemeinde, und war sich im ersten Moment nicht klar, wo sie sich befand.
Ihr Bruder fingerte ein Taschentuch aus seiner Jacke, versuchte Jolanda das Blut von der Stirn zu wischen. Doch er schaffte es nicht, da sie ihm die Hand vor ihrem Gesicht weg schlug. Sie wirkte Geistesabwesend, so als wollte sie sagen, was soll ich hier und wie komme ich hierher.
Langsam schaute sie sich in der Menschenmenge um, bis ihr Blick wieder auf das geöffnete Grab fiel. In diesem Moment fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie stand ja am Grabe ihres Mannes. Da versagten die Beine ihren Dienst. Sie klappte in sich zusammen. Ihr Bruder hielt sie im allerletzten Moment noch, sonst wäre sie zu ihrem Mann ins Grab gefallen.
Ihr Bruder trug sie vom Friedhof zum Auto. Jolanda bemerkte weder, wie man sie auf das Sofa im Wohnzimmer legte, noch wie ihre Mutter ein feuchtes kühles Tuch auf ihre Stirn legte. Jolanda schlief den ganzen Nachmittag, den ganzen Abend und die ganze Nacht hindurch, ohne auch nur ein einziges Mal aufzuwachen.
Am folgenden Morgen erwachte sie fröhlich wie immer. Sie wunderte sich im ersten Moment
darüber, warum sie wohl im Wohnzimmer geschlafen hatte, machte sich aber weiter keine Gedanken darüber, sondern ging eilendes Schrittes auf ihr Zimmer, um sich frisch zu machen und neu einzukleiden.
Singend und pfeifend tänzelte Jolanda die Treppe herunter, an deren Ende ihre Mutter stand. Sie war noch immer in Trauer gekleidet, während Jolanda ein buntes fröhliches Kleid trug. Von Trauer war bei ihr keine Spur mehr.
„Aber Kind, findest du nicht dieses Kleid etwas unpassend?“ fragte ihre Mutter.
Jolanda sah an sich herunter, konnte aber nichts entdecken, was sie daran hindern sollte, dieses Kleid zu tragen. „Warum soll ich denn nicht dieses Kleid tragen, es ist sauber und nicht zerrissen. Also spricht doch nichts dagegen.“
Sie lief weiter, geradewegs an ihrer Mutter vorbei, ohne sich weiter um sie zu kümmern, die mit weit aufgerissenem Mund dastand.
Die Mutter fasste sich und machte einen weiteren Versuch Jolanda von dem Tragen dieses Kleides
abzubringen. Ja, hast du denn vergessen?“
Jolanda drehte sich um. Sie starrte in die Augen ihrer Mutter, ohne ihr Lächeln auf den Lippen zu verlieren. „Was soll ich vergessen haben?“
Die Mutter wusste nicht, ob sie entsetzt sein sollte, oder erschüttert. Sie verstand das Mädchen nicht. Der Vater der in der Zwischenzeit auch an der Treppe angekommen war, sagte leise zu seiner Frau und nahm sie dabei in die Arme: „Lass, vielleicht ist es besser so für sie.“
Jolanda hatte ein ausgezeichnetes Gehör und hatte die Worte ihres Vaters gehört, aber verstanden hatte sie sie nicht. Darum hakte sie bei ihrem Vater nach: „Was ist so besser für mich?“
„Lass es gut sein Jolanda, tu, was du heute Morgen tun musst. Es ist rein gar nichts.“ Der Vater drehte seine Frau an den Schultern herum und verließ den Raum. Er hatte bemerkt, wie bestürzt seine Frau war und wie nah sie den Tränen war. Dies wollte er nicht, vor den Augen Jolanda´s zeigen.
Fröhlich pfeifend verließ Jolanda das Haus, stieg in ihren Wagen und brauste in einem Affentempo davon. Sie wollte sich in die Stadt amüsieren, Geld ausgeben. Schließlich war sie die Tochter eines reichen Farmers, und hatte dementsprechend Geld zur Verfügung.
In der Stadt traf sie auf ein paar Freundinnen, die sie auch gleich versuchte in ihren Bann zu ziehen. Doch sie verstanden ebenso wenig, wie die Mutter, warum Jolanda so fröhlich war. Denn schließlich hatte sie erst vor ein paar Tagen ihren Mann verloren und den hatte man gestern unter die Erde gelegt. Da konnte sie doch heute nicht schon wieder lustig und fröhlich sein. Nein das verstanden ihre Freundinnen nicht. Darum zogen sie es vor, Jolanda allein zu lassen.
„Blöde Schnepfen, warum seit ihr denn heute so zickig?“ Doch die Freundinnen drehten sich nicht einmal um. „Dann halt nicht“ schrie sie ihnen hinterher.
Ihre Lust am bummeln hatte sie gründlich verloren. Darum schlenderte sie ziellos in der Stadt herum, als ihr Blick auf ein Schild über
einem Eingang fiel. Dort stand in goldenen Lettern geschrieben: Xelonia`s Magie
Magisch zog sie dieser Laden an. Jolanda öffnete die leise quietschende Tür, um sie hinter sich wieder zuzuschieben. Sie stand in einem diffus aufgeleuchteten Raum, in dem mehrere Regale an den Wänden standen. In der Mitte ein kleiner runder Tisch, auf dem mehrere kleinere Statuen standen. Genau gegenüber dem Eingang war eine weitere Tür, die von einem Vorhang verdeckt wurde.
Jolanda schaute sich die verschiedenen Gegenstände in den Regalen an und bemerkte nicht, wie eine kleinere rundliche Frau durch den Vorhang den Raum betreten hatte.
„Kann ich ihnen helfen?“ fragte sie Jolanda, die sie mit diesen Worten erschreckte.
Die Frau hatte bemerkt, wie Jolanda zusammengefahren war und entschuldigte sich auch gleich dafür. „Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie so in die Gegenstände vertieft waren.“
„Das macht nichts, ich wollte ...“ Sie sah in die Augen einer kleinen, pummligen Frau und stockte mitten im Satz. Irgendetwas in ihr sagte ihr, sie müsse diese Frau kennen. Ja mehr noch, sie hatte das Gefühl, als wenn sie mit dieser Frau schon etwas zu tun hatte. Doch sie kam nicht gleich drauf, was dies wohl war. Darum fragte sie: „kennen wir uns?“
„Lassen sie uns diese Frage später beantworten, doch kommen sie erst einmal weiter.“ Xelonia, fasste Jolanda bei der Hand und führte sie in eines der hinteren Zimmer.
Jolanda folgte ihr stillschweigend Die Situation, in die sie gestolpert war, ließ sie vorsichtig agieren. Doch auf der anderen Seite sagte ihr Gefühl, sie könnte dieser älteren Frau trauen.
Im hinteren Zimmer angekommen, bot die Frau ihr einen Stuhl an, und Jolanda ließ sich darauf nieder. Sie beobachtete wie die kleine Frau zu einem ebenso kleinen Herd ging und anfing daran herumzuwerkeln. Jolanda hörte, wie Wasser in ein Gefäß eingefüllt wurde. Dann stellte die Frau, die auf den Namen Xelonia hörte, so jedenfalls stand
es auf dem Schild draußen, eine Kanne auf den Tisch und goss den Tee, den sie in dieser zubereitet hatte, ein.
„Zucker?“ Fragte Xelonia, doch Jolanda schüttelte nur den Kopf. Nein sie nahm nie Zucker in heiße Getränke.
Eine Zeitlang saßen sich die Frauen gegenüber, ohne dass auch nur ein Wort gewechselt wurde. Dann fasste sich Jolanda ein Herz und fragte, so beiläufig: „Was machen sie hier eigentlich?“
Xelonia schaute sie mit ihren großen Augen an und war über diese Frage mehr als nur erstaunt. „Was ich hier mache sollte dir eigentlich klar sein, mein Kind. Um auf die erste Frage zurückzukommen, du warst schon einmal hier und hast mich um Hilfe gebeten. Ich habe dir diese Hilfe zukommen lassen. Aber nun bist du deinerseits dran, deinen Part an unserm Deal einzulösen.“
Xelonia streckte die Hand aus, so als wolle sie etwas in Empfang nehmen.
Jolanda verstand nicht was sie meinte.
„Ich kann ihnen nicht folgen. Wieso sollte ich schon einmal hier gewesen sein und was soll ich ihnen geben, wofür auch? Von was für einem Deal reden sie?“
„Nun sage bloß, du kannst dich nicht mehr daran erinnern, warum du das erste Mal hier warst? Oder hast du etwa auch vergessen, wen du gestern unter die Erde gelegt hast?“ In aller Ruhe stellte Xelonia die Fragen.
Tiefe Falten bildeten sich auf der Stirn von Jolanda. Sie überlegte fieberhaft. Wen sie gestern unter die Erde gelegt haben soll. Konnte es sein, dass ihr Gedächtnis ihr einen Streich spielte?
„Ich kann mich nicht daran erinnern, gestern jemanden unter die Erde gelegt zu haben. Wen denn auch?“ Antwortete Jolanda.
Xelonia stand auf, holte etwas aus einer Schublade der Kommode, die in der Ecke des Raumes stand und reichte es Jolanda. Es war die Fotografie ihres Mannes. Und in diesem Moment fiel es Jolanda wie Schuppen von den Augen. Ja richtig, sie hatte ja ihren Mann verloren. Und dieser wurde gestern
beerdigt. Schweigend betrachtete sie das Bild. Ekel stieg in ihr auf. Ja, sie hasste diesen Mann. Der Mann, der sie in der Hochzeitsnacht vergewaltigt hatte, von dem sie jetzt ein Kind erwartete. Ein Kind, das sie nie haben wollte.
„Ich habe ihm hundertmal gesagt, ich will keine Kinder. Und damit war er zuvor auch einverstanden. Doch dann, was er dann angerichtet hat, dafür hat er den Tod verdient, wie sonst keiner.“ Ja jetzt erinnerte sie sich wieder an ihn, und auch an den Deal, den sie mit dieser alten Frau gemacht hatte.
„Ich werde zu meinem Wort stehen. Sie bekommen, was Sie begehren.“ Jolanda stand auf, um wieder zu gehen. Doch sie drehte sich noch einmal um, und meinte: „Ich werde noch einmal nach Hause gehen, um ein paar Sachen einzupacken. In einer Stunde bin ich wieder da.“
Xelonia nickte nur kurz, stand auf und räumte den Tisch wieder leer.
Vielen Dank für das Lesen dieser Probe, sie sind am Ende der Leseprobe angelangt.
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